Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten (HPV/R)


Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten (HPV/R) gehört sowohl zum Fachgebiet der Pädagogik als auch der Psychologie und findet in Einzel- oder Gruppenaktivitäten statt. Hierbei wird das Pferd von ausgebildeten Pädagogen als Partner zur Einleitung positiver Verhaltensänderungen eingesetzt. Der Wiesenhof ist vom Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten anerkannt. 

Beim Heilpädagogischen Voltigieren (HPV) wird das Pferd von dem Reitpädagogen an einer Longe in verschiedenen Gangarten im Kreis geführt, wobei sich die Teilnehmer einzeln oder mit Partner auf oder an dem Pferd bewegen. Es finden hier auch Sportgeräte wie Ringe, Bälle, Tücher etc. Verwendung. Die individuelle Förderung des Einzelnen in den unterschiedlichsten Bereichen (sensomotorisch, sozial-emotional und kognitiv) steht beim Heilpädagogischen Voltigieren im Vordergrund.

 

Beim Heilpädagogischen Reiten (HPR) befinden sich Pferd und Teilnehmer erst an der Longe oder werden geführt, wodurch der Teilnehmer Vertrauen gewinnt und einen entspannten, passiven, lockeren Sitz einnimmt. Nach und nach lernt der Teilnehmer, sich auf die Bewegung des Pferdes einzustellen, aktiv zu Reiten und das Pferd selbständig zu führen. Normalerweise findet auch das Heilädagogische Reiten in einer kleinen Gruppe statt, so daß sich der Reiter nicht nur auf den Partner Pferd, sondern auch auf den Partner Mensch einzustellen lernt. Nicht das reiterliche Können, sondern Aspekte wie Verantwortung zu übernehmen, sich durchzusetzen, an Regeln zu halten, sich selbst adäquat einzuschätzen, sich zu konzentrieren, den eigenen Körper wahrzunehmen, sich im Raum zu orientieren, etc spielen hier eine bedeutende Rolle.

 

Das HPV/R bietet sich als Fördermöglichkeit für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit

  • Lernbehinderung
  • Geistiger Behinderung
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Störungen in der emotionalen Entwicklung
  • Bewegungs- und Wahrnehmungsstörungen
  • Sprachbehinderung
  • Autistische Verhaltensweisen
  • Psychische Störungen und
  • Psychosomatischen Erkrankungen an

 

Durch das HPV/R werden vor allem Motorik, Wahrnehmung, Lernen, Befinden und Verhalten günstig beeinflusst. Im Vordergrund steht die individuelle Förderung der Gesamtpersönlichkeit des Menschen durch das Pferd. Dieses übt durch sein Aussehen, seine Art sich zu verhalten, die vielfältigen Möglichkeiten, sich mit ihm zu beschäftigen und das Reiten selbst für die meisten Kinder, Jugendliche und viele Erwachsenen eine große Faszination aus.

Gefühle wie Kontakt- und Zärtlichkeitsbedürfnisse, Zuneigung, Freude, aber auch Ängste werden angesprochen und können in die pädagogische Arbeit einbezogen werden. Das Pferd als ursprüngliches Herdentier besitzt ein ausgeprägtes Bedürfnis nach sozialem Kontakt und zeigt dies auch im Umgang mit Menschen. Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren schafft die Möglichkeit, mit dem Tier Kontakt aufzunehmen, eine Beziehung aufzubauen und dabei Zuneigung zu zeigen und selbst zu empfangen. Für viele, deren Schwierigkeiten aus Beziehungsproblemen mit anderen Menschen resultieren, ist dies eine wichtige Erfahrung. Diese Erfahrung kann eine allgemeine Öffnung und den Abbau von Blockaden bewirken, eine Vertrauensbasis schaffen und so die Grundlage für weitere Entwicklung sein. Das Pferd ist zurückhaltend in seinen Äußerungen. Dadurch fordert es seine Teilnehmer zu aktiven Gefühlsäußerungen und Handlungsweisen auf. Es ist klar und eindeutig in seinen Reaktionen, womit es dem Teilnehmer hilft, die Folgen seines Handelns zu erkennen. Es reagiert auf positive Verhaltensweisen durch gehorsames Mitmachen und Zuwendung, auf unangemessene Verhaltensweisen durch Verweigerung und Ablehnung. Der Teilnehmer lernt seine eigenen Fähigkeiten und Grenzen kennen, er gewinnt an Selbstkontrolle und lernt, andere wahrzunehmen, zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Durch Erfolgserlebnisse werden seine Freude am eigenen Tun, sein Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen gestärkt.

Das Pferd lädt den Menschen durch seinen eigenen Rhythmus bei jedem Schritt zu einem lebendigen Dialog ein. Sowohl beim Reiten wie auch beim Voltigieren werden eine Vielzahl von Einflüssen wirksam, deren Bedeutung aus der Psychomotorik und der Sensorischen Integrationstherapie bekannt sind. Der enge Zusammenhang in der Aufnahme von Sinnesreizen, der Verarbeitung dieser Informationen und deren Umsetzung in Bewegung als Grundlage für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung kommt hierbei besonders zum Tragen. Defizite in den verschiedenen Bereichen können durch gezielte Aktivitäten und Übungen mit und auf dem Pferd angegangen werden.

Konkrete Förderziele sind:

Im sensomotorischen Bereich:

  • Lockerung und Entkrampfung
  • Gleichgewichtsbeherrschung
  • Körperbewußtsein
  • Raumlageorientierung
  • Gesamtkörperkoordination
  • Wahrnehmung (visuell, auditiv, taktil, olfaktorisch)


Im sozial-emotionalen Bereich:

  • Aufbau von Vertrauen
  • Erhöhung der Frustrationstoleranz
  • Aufbau von Selbstwertgefühl
  • Eingestehen und Überwinden von Ängsten
  • Kontaktaufnahme und Einstellen auf den Partner
  • Aufbau von Verantwortungsbewußtsein
  • Abbau von Aggressionen
  • Erlernen einer angemessenen Selbsteinschätzung


Im kognitiven Bereich:

  • Sprachverständnis, Sprechbereitschaft
  • Begriffsbildung
  • Entwicklung von Lern-und Leistungsbereitschaft
  • Aufbau und Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit und des Durchhaltevermögens
  • Förderung der Übertragungsfähigkeit

(Tabelle nach Kaune, 1982 und Ringbeck, 1981)

Nicht nur das eigentliche Reiten/Voltigieren, sondern auch der Aufbau einer Beziehung zum Pferd, die Pflege des Pferdes, das Pferd von der Koppel holen, führen, putzen und satteln, die notwendigen Stallarbeiten, das Kennenlernen des Pferdes und seines Lebensraumes, der Aufbau einer Beziehung zum Pferd, etc. sind integraler Bestandteil der heipädagogischen Arbeit. Die Persönlichkeit des Einzelnen wird durch die hierbei ablaufenden Prozesse positiv beeinflußt. Außerdem werden beim HPV/R gruppendynamische Prozesse angeregt und begleitet. Das HPV/R kann ein Ausgleich, ein Freiraum, ein Raum für neue Entwicklungen und für das Angehen von persönlichen Problemen sein. Ziel des HPV/R ist immer das Anstreben einer größtmöglichen sozial und persönlich bekömmlichen Selbststeuerung und Handlungsfähigkeit.

Gabriela Conrad, Dipl. Sozialpädagogin (FH), Reitpädagogin HPR/-V, Psychomotorikerin DAkP

Team Wiesenhof

Ausgewählte Textpassagen mit freundlicher Genehmigung von Ulrike Geiß und Katrin Pfeffer (Reitpädagoginnen)