Tag 9: Therapie ist kein Sport

In den letzten Tagen wurden wir schon häufiger gefragt, wieso wir denn nicht nur die Gruppen-Angebote und die Reitstunden aussetzen, sondern auch das Therapeutische Reiten - dies sei schließlich trotz "Lockdown Light" erlaubt, weil es als medizinische Maßnahme gilt und nicht als Freizeitsport. Viele Reitbetriebe haben ihre therapeutischen Maßnahmen gar nicht eingestellt oder längst wieder aufgenommen.

 

Dabei bezieht sich die aktuelle Corona-Verordnung des Landes auf das Sozialgesetzbuch, genauer gesagt auf das SGB IX, § 64 Abs. 1 Nr. 3. Darin geht es um "ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung, einschließlich Übungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Frauen und Mädchen, die der Stärkung des Selbstbewusstseins dienen" - man hört auch immer wieder die Formulierung, therapeutische Maßnahmen müssten "medizinisch notwendig" sein. Die Reittherapie wird in vielen Fällen zwar von Ärzten empfohlen, aber nicht von Krankenkassen getragen - ist sie dann "ärztlich verordnet"? Und was ist "medizinisch notwendig"?

 

Das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten DKThR empfiehlt, sich nach den Vorgaben zu richten, die man als Therapeut auch in seinem Hauptberuf habe und nach denen man handele bzw. Patienten behandele. Aber was ist, wenn man im Hauptberuf gar nicht als Therapeut arbeitet? Unsere Reittherapeuten haben zwar einen therapeutischen Ausbildungshintergrund, viele von ihnen üben dies aber nicht als Hauptberuf aus.

 

Klar, für die Teilnehmer der therapeutischen Angebote ist der Ausfall besonders schwierig - für sie ist es nicht nur ein liebgewonnenes Hobby, sondern hilft ihnen tatsächlich weiter: bei ihrer Beweglichkeit, bei ihrer Entwicklung, beim Überwinden von Krankheiten und durch den Kontakt zum Tier auch psychisch. Aber sind nicht sie, was die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie angeht, auch besonders schützenswert? Viele von ihnen haben Vorerkrankungen und gehören dadurch tatsächlich der Risikogruppe an. Trotzdem möchte ein Großteil der Eltern, dass es - unter Einhaltung der nötigen Hygieneregeln - weitergeht mit dem Therapeutischen Reiten. Eben weil es den Kindern so gut tut.

 

Aber können wir es aus Sicherheitsgründen überhaupt verantworten, ausschließlich das Therapeutische Reiten wieder anzubieten? Mit den Teilnehmern wird dabei fast ausschließlich im Schritt gearbeitet - für die Pferde bedeutet das eine geistige Höchstleistung, weil sie auf den Zweibeiner ganz besonders aufpassen und seine Unsicherheiten ausgleichen müssen, allerdings keine körperliche Auslastung. Sie müssen darüber hinaus also andere Möglichkeiten haben, sich körperlich auszupowern - nicht nur im Freilauf auf dem Paddock, wo sie doch die meiste Zeit herumstehen. Ansonsten wäre es, gerade bei winterlichen Temperaturen, wo der Bewegungsdrang der Pferde höher ist als bei 35 Grad im Sommer, schnell zu gefährlich, einen Menschen mit Beeinträchtigungen auf ihren Rükcen zu setzen. Schaffen wir es zeitlich, auch noch alle Pferde zu bewegen, wenn die Halle durch therapeutisches Reiten "blockiert" ist? Darf, wenn wir Kontakte bestmöglich minimieren wollen, parallel überhaupt noch jemand auf den Hof? Mit Therapeut, oft noch einem Helfer, Patient und einem Erziehungsberechtigten als Aufsicht und zur Unterstützung sind schon einige Leute dort.

 

"Aber Therapeutisches Reiten ist doch erlaubt." ist also ein Satz, den man leicht dahersagt - hinter dem aber viel, viel mehr steckt.

 

Unser ausgearbeitetes Hygienekonzept sieht dennoch  - eingeschränkt, mit strengen Hygiene- und, wo möglich, Abstandsregeln - auch eine Wiederaufnahme des Therapeutischen Reitens vor. Dann, wenn die zuständige Ordnungsbehörde das Hygienekonzept freigibt - und gemeinsam mit allen anderen dort enthaltenen Maßnahmen, denn nur so können wir die Patienten und unsere Vereinspferde so betreuen, wie es nötig ist.

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